8.10. - 30.10.2021
Raum für drastische Maßnahmen Berlin
Exhibition Views: Sedlar & Wolff
Reproductions: Gustav Franz
Opening Speech: Katrin Sperry
Poster design: Studio Lindhorst-Emme
Soft Crash
Vielleicht habt auch ihr einmal einen Soft Crash erlebt. Einen Sturz, bei dem euch während des Falls noch genügend Zeit blieb, um eben das Schlimmste zu verhindern? Wie beispielsweise in der Arbeit mit dem Schmetterling (Pfauenauge, 2020): Was auf den ersten Blick morbid ausschaut, könnte auch andersrum gelesen werden: Der Sturz des Schmetterlings ist durch den Fall auf die weichen Flügel abgefedert worden.
Der Ausstellungstitel Soft Crash bezieht sich auf eben jene Spannung: Ein Augenblick, der sowohl als hart wie auch als weich empfunden werden kann. «Momente des Aufprallens prägen unser Dasein», meint die Künstlerin Franca Franz und weiter, «wir können eine Haltung dazu entwickeln». Damit umschreibt sie auch unsere Fähigkeit auf ein Ereignis zu reagieren, um beim nächsten Mal vielleicht noch etwas weicher aufzuprallen oder aber, um das bereits Geschehene mit neuem Inhalt zu füllen.
Gefüllt sind auch Francas Werke – stets bis zum äussersten Rand. Und gleichwohl liegt darin ganz viel Luftraum in Form von Himmel. Offensichtlich in den kleineren Landschaftsbildern, aber auch gespiegelt in den Windschutzscheiben der Autos (u.a., Corsa, 2021). Sinnbildlich steht der Himmel für Freiheit, Weite sowie für immerfort Bewährtes. Auch wenn die Wolken dahinziehen, bleibt uns der Himmel als solches erhalten. Sogar die Löwin (Vorstellung, 2021) scheint auf einem Wolkenmeer zu stehen, das sich innerhalb des umhüllenden Zirkuszeltes ausbreitet.
Die Wolken verweisen zudem auf ein weiteres verbindendes Element: Das Traumhafte. Analog zu Träumen, finden wir innerhalb der Darstellungen bei Franca sogleich Vertrautes, wobei uns die Gewissheit alsbald wieder entgleitet. Als würde uns die Künstlerin auf der Schwebe halten wollen, uns etwas vorenthalten oder mit Unerwartetem aufwarten. Heisst es nicht «in den oder über den Wolken schweben», wenn wir realitätsfern oder in einer Welt der Fantasie lebend meinen, «Den Kopf in den Wolken tragen», wenn wir Tagträumen oder «aus allen Wolken fallen» wenn wir – wie bei einem Crash – wieder mit der Realität konfrontiert werden. Wolken und Traum, Erinnerung und Fantasie – es sind Elemente, die Franca sowohl inspirieren wie anregen und die sie auf wundersame Weise festzuhalten weiss.
Schliesslich bleibt mein Blick auf den zwei badenden Frauen (Tub for Two, 2020) ruhen, die losgelöst und leichtfüssig mir als Betrachterin jedoch keine Beachtung schenken. Überhaupt scheinen die meisten Protagonist*innen uns den Blick zu verwehren, drehen uns gar den Rücken zu. Und ich frage mich: Wann blicken wir jemandem wirklich in die Augen? Wessen Blick lassen wir zu? Und wessen Blick halten wir Stand?
Es ist die Löwin, die den Augenkontakt beinahe herausfordert und uns damit fesseln will. Im Zusammentreffen und Standhalten eines Blickes erkennt Franca auch das Offenbaren von Verletzlichkeit. Gerade dieses Standhalten braucht uns manchmal etwas Mut, denn so glauben wir durch die Pupillen unseres Gegenübers dessen Seele zu erkennen. Vielleicht
auch die tiefsten Abgründe und Ängste. Und so lädt die Künstlerin uns Besucher*innen weiter dazu ein noch ein bisschen genauer hinzuschauen – durch das Filzauge am Boden hindurch wortwörtlich in den Untergrund. Doch handelt es sich dabei wirklich um die Ängste der Löwin oder werden unsere eigenen Befürchtungen darin widergespiegelt?
Francas Welt, die sich uns in der Ausstellung offenbart, eröffnet ein breites Spielfeld für eigene Geschichtenerzählungen, Assoziationen und Gedankenspinnereien. Das grosse Zirkuszelt, das sich darin auftut, lässt mich als Besucherin neben der Löwin selbst als Teil der Manege imaginieren. Ja - wir alle stehen unter diesem Zirkuszelt. Als Beobachter*innen oder Artist*innen – stets im Moment des Kippens, zwischen Auf- und Abstieg, Flug und Fall, Freude und Angst, mitten im Leben. Dieses mag uns manchmal entgleiten. Doch heute können wir es etwas softer werden lassen: Zum Beispiel indem wir auf Wolken schweben und Gläser crashen: Auf eine gelungene Ausstellung, auf dich, Franca!
Katrin Sperry, 8. Oktober 2021